Gemeinsamständigkeit

Achtung: Es folgen unfertige und vielleicht verrückte(!) Gedanken über eine neue Art gemeinsam zu arbeiten. Du bist herzlich eingeladen, in die Diskussion einzusteigen!

Gemeinsamständigkeit

Wir wollen Arbeitnehmern, die an Strukturen verzweifeln, und Freiberuflern, die sich im täglichen, einsamen Arbeitskampf aufreiben, den Enthusiasmus zurückgeben, mit dem sie in ihren Beruf gestartet sind. Wir wollen jungen Menschen zeigen, dass sie ihre Ambitionen im Berufsleben nicht aufgeben, sondern ausleben können.

Zahnrad oder Einsamkeit

Alles hat sich verändert, aber die Strukturen unserer Arbeit sind meist noch gleich wie vor hundert Jahren. Zwar gibt es in unserer Dienstleistungsgesellschaft nur noch wenig Fliessbandarbeit und doch kommen wir uns bei der Arbeit oft vor wie ein Zahnrad in einer Maschine. Die Maschine läuft in die vorgegebene Richtung der Gewinnmaximierung. Lieferanten, Kunden, das Produkt und wir Mitarbeiter werden dabei zum Mittel, das dem Zweck des Gewinnes untergeordnet ist.

Immer weiter wird jegliche Dienstleistung auf Effizienz getrimmt. Unsere Arbeit wird optimiert und standardisiert, bis ins Kleinste gemessen und qualitätskontrolliert. Kein Wunder, fühlen sich nur noch 13% dem Unternehmen emotional verbunden (siehe Studie von Gallup).

Die grosse Mehrheit wartet auf den Freitag und irgendwann schliesslich auf die Pensionierung. Nein. Wir möchten Leben, von Montag bis Sonntag!

Manche versuchen mit der Selbständigkeit aus der Maschine auszubrechen in die Freiheit. Doch wie das Wort schon sagt, ist man damit “ständig” auf sich “selbst” gestellt. Man kämpft alleine, mit grossem Risiko und manchmal brot- und erfolglos.

Ein Coworking Space hilft gegen die Einsamkeit. Gegenseitig motiviert man sich. Man wird Teil einer Community, teilt Freud, Leid und wertvolle Tipps. Und doch ist es wahrscheinlich und verständlich, dass auch im Coworking Space jeder schliesslich alleine für sein Unternehmen denkt und kämpft.

Gibt es denn keine Möglichkeit, Arbeit so zu organisieren, dass wir frei sein können und doch nicht auf eine Gemeinschaft verzichten müssen? Anstatt alleine zu kämpfen, zusammen und im Schutz der Gemeinschaft. Könnten wir nicht eine Gemeinsamständigkeit einführen (ein Begriff von Dark Horse, den ich sehr passend finde)?

Gemeinsame Selbständigkeit

Gemeinsame Selbständigkeit - ein Widerspruch? Oder ist es möglich, die Vorteile der Arbeit als Angestellter und als Selbständiger zu vereinen?

Ich wage mal einen Entwurf, wie das aussehen könnte mit dem Wissen, dass wir uns der Lösung nur Schrittweise nähern können und somit viele Teile verfeinert oder verworfen werden müssen.

Teilen von Raum und Geld

In einem Coworking Space teilt man sich Büroräume und Infrastruktur. Aber es geht beim Coworking um mehr als einen Arbeitsplatz: Man wird Teil einer Community! In einer gemeinsamen Küche entstehen inspirierende Gespräche, man erhält Unterstützung von Ähnlichgesinnten und an Events bildet man sich gegenseitig weiter und stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Dies sind einige der Gründe, weshalb Coworking immer beliebter wird.

Und doch frage ich mich, ob wir nicht noch einen Schritt weiter gehen könnten. Ich weiss, es ist ein Tabubruch, aber ich hoffe, du hilfst trotzdem dabei, diese Gedanken mitzudenken:

Wie wäre es, wenn alle Coworker ihr Einkommen in einen gemeinsamen Topf geben würden? Aus diesem Topf wird dann jeder zu gleichen Teilen entschädigt. Wer nur einzelne Tage im Coworking Space arbeitet, würde den entsprechenden Anteil erhalten.

Sofort ändert sich die Wahrnehmung der Coworker untereinander, nicht? Ich habe nun grösstes Interesse, dass das Geschäft meines Coworkers floriert. Wenn mein Kollege einen guten Auftrag erhält, dann feiere ich mit. Dies hätte ich hoffentlich(!) auch ohne gemeinsamen Topf gemacht, aber jetzt bin ich direkt am Erfolg (und Misserfolg) meines Kollegen beteiligt. Wir kämpfen jetzt gemeinsam, statt einsam. Und trotzdem hat jeder die Freiheit, sein eigenes Geschäft zu führen und kann mit seinem Unternehmen die Gemeinschaft auch wieder verlassen.

Neben dem Gefühl, dass man nicht mehr alleine Unterwegs ist, gibt diese Struktur auch Sicherheit. Der gemeinsame Topf wirkt wie eine Versicherung. Wenn ein Coworker mal ein paar Wochen in einer Auftragsflaute steckt, kann er trotzdem einen Lohn beziehen.

Beratungsprozess und Transparenz

Aber, aber, das System mit dem gemeinsamen Topf könnte ja ausgenützt werden! Klar, doch allzu einfach wird das nicht sein. Da jede unternehmerische Entscheidung eines Coworkers nun unmittelbare Auswirkungen auf alle anderen Coworker haben kann, sollen wichtige Entscheidungen nicht mehr alleine gefällt werden. Die Coworker würden sich verpflichten, bei Entscheidungen den Rat von betroffenen Kollegen und entsprechenden Experten einzuholen.

Zwar müssen die Ratschläge offen in Betracht gezogen werden, sie sind aber nicht bindend. Jeder Coworker darf also, nachdem er Ratschläge eingeholt hat, selber entscheiden. Dieser sogenannte Beratungsprozess wird in einigen Unternehmen (zum Teil mit tausenden Mitarbeitern) bereits höchst erfolgreich eingesetzt.

Frederic Laloux hat solche Unternehmen untersucht, bei denen alle Hierarchien abgeschafft wurden und die Mitarbeiter mit dem Beratungsprozess alle Entscheidungen selber fällen. Unter dem Begriff Selbstmanagement beschreibt Laloux, wie sich mit Selbstmanagement kleine und grosse Organisation von der Basis her wie von selbst managen - und dies erst noch effizienter und mit mehr Freude bei der Arbeit!

Wer mehr zum Thema Selbstmanagement (und anderen revolutinären Prinzipien) lesen möchte, dem kann ich Reinventing Organizations von Laloux wärmstens empfehlen (das Buch ist ab April 2015 auch auf Deutsch erhältlich). Wer lieber einen Film dazu schaut: ein Vortrag von Laloux auf Englisch und auf Französisch.

Mit dem Beratungssprozess ist es also möglich, dass jeder selber Entscheidungen fällen kann, diese aber gut abgesichert sind.

Ein zweiter Schutzmechanismus ist die Transparenz. Jedes Mini-Unternehmen innerhalb des Coworking Spaces würde alle Einkommens- und Ausgabeströme offen legen. Diese Transparenz ist wichtig, damit jeder seinen eigenen Beitrag an die Gemeinschaft einordnen und bei Bedarf Rat holen und Massnahmen treffen kann. Auch beseitigt Transparenz Misstrauen und schafft eine Basis für gegenseitiges Vertrauen.

Damit die Gemeinsamständigkeit gelingt, müssten die genannten Strukturen natürlich sehr sorgfältig ausgearbeitet werden. Ich denke, dass es sich lohnt, in diese Richtung zu gehen, da damit die Vorteile vom “Gemeinsamen” und “Selbständigen” kombiniert werden könnten.

Fazit

Wenn wir eine sinnvolle Arbeit wollen, die frei ist von engen Strukturen und trotzdem nicht im Alleingang endet, dann müssen wir gemeinsam neue Wege suchen und es wagen, diese zu gehen.

Coworking als Mieten von (trendigem) Arbeitsplatz reicht nicht. Gemeinsamständigkeit ist ein Vorschlag, wie wir uns einer attraktiven Arbeitsform nähern können. Bitte hilf mit, diesen Vorschlag zu diskutieren, weiter zu entwickeln oder Alternativen zu suchen. Ich bin gespannt auf deine Meinung!


Eine Zusammenfassung und Weiterführung der Diskussionen findest du im Artikel Eine absurde Idee: Gemeinsamständigkeit.

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